Neuer Test kann Post-COVID-Syndrom mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen

Test basiert auf Abfrage eines Katalogs von Beschwerden – einfache Anwendung für medizinisches Fachpersonal mittels Web-Applikation geplant

Ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Mainz um Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild hat einen fragebogenbasierten Test entwickelt, der das Post-COVID-Syndrom (PCS) mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen kann. Die Wissenschaftler:innen nutzten die Profile der gesundheitlichen Beschwerden von Menschen mit und ohne SARS-CoV-2-Infektion aus einer großen Datenbank und analysierten diese mithilfe einer Methode der Künstlichen Intelligenz, dem maschinellen Lernen. Die Anwendung des Tests ist für medizinisches Fachpersonal vorgesehen und soll künftig über eine Web-Applikation zur Verfügung gestellt werden. Die Mainzer Forschenden haben die Entwicklung des Tests in einer wissenschaftlichen Arbeit beschrieben, die im renommierten European Journal of Epidemiology veröffentlicht wird.

Aufgrund der Vielfältigkeit der Symptome und des Fehlens diagnostischer Biomarker und Tests ist die Diagnose des Post-COVID-Syndroms derzeit eine Ausschlussdiagnose. Sie ist sehr kostenintensiv, erfordert einen hohen Aufwand sowie eine enge und effiziente Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzt:innen. Besonders in der Primärversorgung besteht daher ein Bedarf für leicht anwendbare und standardisierte Instrumente, um eine fundierte Entscheidung zur weiteren Diagnostik treffen zu können. Ein solches Instrument haben die Wissenschaftler:innen vom Zentrum für Kardiologie und vom Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH) der Universitätsmedizin Mainz mit dem Test nun entwickelt.

Spezifische Langzeitsymptome identifiziert

Für die Entwicklung des Tests analysierten die Wissenschaftler:innen Daten von über 900 Personen aus der bevölkerungsbasierten Gutenberg COVID-19 Studie der Universitätsmedizin Mainz. Im Zuge dieser Studie wurden Personen mit wissentlicher und unwissentlicher SARS-CoV-2 Infektion sowie eine Kontrollgruppe ohne vorherige SARS-CoV-2-Infektion im Zeitraum zwischen Oktober 2020 und Januar 2022 untersucht. Von den Menschen wurden neu aufgetretene oder sich verschlimmernde Symptome seit ihrer SARS-CoV-2-Infektion bzw. seit Beginn der Pandemie erhoben. Rund ein Drittel der in die Analyse einbezogenen Studienteilnehmenden mit vorheriger wissentlicher SARS-CoV-2-Infektion und ein Viertel der Befragten mit vorheriger unbemerkter SARS-CoV-2-Infektion berichteten von Beschwerden, die über sechs Monate persistierten und damit als Langzeitsymptome definiert wurden. Aber auch in der Kontrollgruppe mit Personen ohne vorherige SARS-CoV-2-Infektion berichtete rund ein Viertel der Teilnehmenden über Langzeitsymptome. Dies unterstreicht, dass die Symptome im Rahmen von Post-COVID nicht spezifisch für das Syndrom sind und damit keine Diagnose gestellt werden kann. Es verdeutlicht aber auch den Bedarf für datenbasierte Testinstrumente, die die weitere diagnostische Abklärung unterstützen.

Mittels maschinellen Lernens gelang es den Forschenden, 21 Langzeitsymptome zu identifizieren, die sich zwischen den Personen mit und ohne vorherige SARS-CoV-2-Infektion unterschieden. Die Ergebnisse wurden anhand von Daten einer unabhängigen Bevölkerungskohorte – dem Surveillance und Frühwarnsystem SentiSurv RLP – validiert.

Test soll in Form eines webbasierten Fragebogens zur Verfügung gestellt werden

Die auf diese Weise identifizierten Symptome bilden die Grundlage für den neuen Test, der zukünftig durch medizinisches Fachpersonal und Vetreter:innen von Heilberufen genutzt werden kann. Er soll in Form einer Web-Applikation zur Verfügung gestellt werden. „Da der Test allein auf dem Profil der Beschwerden der Betroffenen basiert, kann er einfach und schnell im Praxisalltag angewendet werden“, betont Studienleiter Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild. „Er eignet sich insbesondere für die Nutzung durch Hausärzt:innen, die die erste Anlaufstelle für Patient:innen mit Verdacht auf ein Post-COVID-Syndrom sind.“

Was der Test leisten kann – und was nicht

„Der Test hat eine hohe Sensitivität und kann damit bei einem negativen Testergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit das Vorliegen eines Post-COVID-Syndroms ausschließen“, erläutert Philipp Wild. „Dies ist hilfreich für die Ursachenabklärung und die Entscheidung der behandelnden Ärzt:innen bzgl. des weiteren diagnostischen Vorgehens. Deshalb sollte der Test stets im Kontext weiterer klinischer Daten und basierend auf der ärztlichen Einschätzung interpretiert und nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage verwendet werden.“

Das bedeute im Umkehrschluss, so Wild, dass der Test aufgrund der Charakteristika nicht geeignet sei, ein Post-COVID-Syndrom zu diagnostizieren, da auch viele Personen ohne das Syndrom ein positives Testergebnis haben könnten. Im Falle eines positiven Ergebnisses müssen die behandelnden Ärzt:innen daher nach wie vor die übliche weitere diagnostische Abklärung durchführen. „Wir können durch die Auswahl der vorliegenden Symptome eine Wahrscheinlichkeit ermitteln und damit einen Hinweis geben, inwieweit das Beschwerdebild mit Post-COVID zusammenhängt“, ergänzt Rieke Baumkötter, Erstautorin der Publikation und Epidemiologin in der Arbeitsgruppe von Philipp Wild.

Der Test wurde sowohl für Patient:innen mit vorheriger symptomatischer als auch für Personen mit vorheriger asymptomatischer SARS-CoV-2-Infektion entwickelt. Er ist nur bei Erwachsenen anwendbar, nicht jedoch bei Kindern und Jugendlichen, da für diese keine Daten vorliegen.

Zum Post-COVID-Syndrom

Schätzungen des Robert Koch-Instituts zufolge sind sechs bis 15 Prozent der Bevölkerung von den Langzeitfolgen einer COVID-19-Erkrankung betroffen. Als Post-COVID-Syndrom (PCS) werden gesundheitlichen Beschwerden bezeichnet, die länger als drei Monate nach einer akuten Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestehen und auf keine andere Ursache zurückzuführen sind. Die Beeinträchtigungen sind sehr vielfältig und können unter anderem die Lunge, das Herz-Kreislauf-System, die Muskulatur, den Darm, die Nieren sowie die kognitiven Fähigkeiten und die psychische Gesundheit betreffen. Zu den häufigsten PCS-Symptomen zählen anhaltende Erschöpfungszustände, die sich als myalgische Enzephalomyelitis oder chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) manifestieren können, Kurzatmigkeit oder Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. PCS kann die Lebensqualität und den Alltag der Betroffenen stark beeinträchtigen. Die Ursachen der Erkrankung sind bisher noch unzureichend entschlüsselt. Die Therapie erfolgt daher bisher rein symptomatisch.


Originalpublikation:
R. Baumkötter, MSc; S. Yilmaz, MSc; J. Chalabi, MA; V. ten Cate, PhD; A. S. Mamoor Alam, MSc; S. Golriz Khatami, PhD; D. Zahn, PhD; N. Hettich-Damm, PhD; J. H. Prochaska, MD; I. Schmidtmann, PhD; K. Lehnert, MD, A. Steinmetz, MD, M. Dörr, MD, N. Pfeiffer, MD; T. Münzel, MD; K. J. Lackner, MD; M. E. Beutel, MD; P. S. Wild, MD, Risk tools for predicting long-term sequelae based on symptom profiles after known and undetected SARS-CoV-2 infections in the population, European Journal of Epidemiology, accepted for publication.

 

Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild
Präventive Kardiologie und Medizinische Prävention, Zentrum für Kardiologie; Klinische Epidemiologie und Systemmedizin, Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH)
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