Forscher finden Steuerelement der Huntington-Krankheit
Molekulare Troika reguliert Produktion eines schädlichen Proteins
Ein Verbund dreier Moleküle ist ein möglicher Ansatzpunkt für die Behandlung der Hirnerkrankung Chorea Huntington. Das berichtet ein internationales Forscherteam um Univ.-Prof. Dr. Susann Schweiger von der Universitätsmedizin Mainz und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn im Online-Journal „Nature Communications“. Demnach kontrolliert der sogenannte MID1-Komplex die Herstellung einer fehlerhaften Form des Proteins „Huntingtin“, das die Nervenzellen im Gehirn von Chorea Huntington-Patienten schädigt.
Chorea Huntington, auch „Huntington-Krankheit“ genannt, ist eine vererbbare Erkrankung des Gehirns, die sich als Störungen der Bewegung und Psyche äußert. In Deutschland sind derzeit etwa 8.000 Patienten von der Krankheit betroffen, pro Jahr gibt es einige hundert neue Fälle. Die Krankheit bricht meist im Alter von 35 bis 50 Jahren aus. Sie ist bislang unheilbar und führt unweigerlich zum Tode. Ursache ist ein besonderer Gendefekt: Auf der DNA, dem Träger der Erbinformation, sind gewisse Abschnitte als mehrfache Kopie aneinandergereiht. Solche Wiederholungen findet man auch bei gesunden Menschen. Aber im Fall von Chorea Huntington sind diese Sequenzen länger als gewöhnlich.
Die längeren DNA-Sequenzen bei Chorea Huntington führen dazu, dass ein Eiweiß mit dem Namen „Huntingtin“ nicht korrekt gebildet wird. Denn die DNA kommt einem Archiv gleich, das Baupläne für Eiweiße (Proteine) enthält. Fehler in der DNA spiegeln sich daher in fehlerhaften Proteinen wider. Für den Organismus ist das Huntingtin lebensnotwendig – ist das Protein fehlerhaft, so führt das zum Absterben von Gehirnzellen.
In der aktuellen Studie nahmen die Wissenschaftler um Professor Susann Schweiger, Direktorin des Instituts für Humangenetik | Forschungsschwerpunkt Translationale Neurowissenschaften (FTN) der Universitätsmedizin Mainz, und die Molekularbiologin Dr. Sybille Krauß vom DZNE in Bonn einen entscheidenden Schritt der Proteinherstellung unter die Lupe – die Translation. Dabei wird die Kopie der DNA, die sogenannte Boten-RNA, in den Eiweißfabriken der Zelle abgelesen. Bei Chorea Huntington enthält die Boten-RNA eine ungewöhnlich hohe Zahl aufeinanderfolgender CAG-Sequenzen – wobei das Kürzel CAG die Bauanleitung für den Proteinbaustein „Glutamin“ beschreibt.
Die sich wiederholenden Sequenzen – Forscher sprechen von „Repeats“ – haben unmittelbare Folgen: Glutamin wird vermehrt in Huntingtin eingebaut. Das Protein ist infolgedessen fehlerhaft. Die Wissenschaftler haben nun einen Verbund aus drei Molekülen identifiziert, der hier ansetzt – den sogenannten MID1-Komplex. Dieser umfasst das namensgebende MID1 als Schlüsselkomponente, sowie die Proteine PP2Ac und S6K. In einer Serie aufwändiger Experimente konnten die Wissenschaftler zeigen, dass dieser Komplex an die Boten-RNA bindet und die Herstellung des fehlerhaften Huntingtins steuert. Die Bindung war umso stärker, je länger die Repeats sind. Bei Sequenzen von normaler Länge gab es hingegen keine oder nur eine schwache Bindung. Reduzierten die Wissenschaftler daher die Konzentration des sogenannten MID1-Komplexes in der Zelle, dann ging auch die Produktion des defekten Proteins zurück – während die Produktion von normalem Huntingtin nicht betroffen war.
Dies werten die Wissenschaftler als Beleg dafür, dass der MID1-Komplex sehr spezifisch wirkt, nämlich auf RNAs mit überlangen CAG-Sequenzen. In dieser Wirkung sehen sie daher die besondere Chance, die Huntington-Krankheit zu behandeln – und den MID1-Komplex als vielversprechenden Angriffspunkt für eine Therapie zu nutzen. Denn über ihn besteht die Möglichkeit, ausschließlich die Herstellung des fehlerhaften Huntingtins zu unterdrücken. Für das normale Huntingtin, das im Körper des Patienten ebenfalls produziert wird und wichtig für den Organismus ist, gäbe es dann keine negativen Folgen.
Originalveröffentlichung
Translation of HTT mRNA with expanded CAG repeats is regulated by the MID1-PP2A protein complex.
Sybille Krauß, Nadine Griesche, Ewa Jastrzebska, Changwei Chen, Désiree Rutschow, Clemens Achmüller, Stephanie Dorn, Sylvia M. Boesch, Maciej Lalowski, Erich Wanker, Rainer Schneider, Susann Schweiger. Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms2514.
Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Susann Schweiger
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